Primfakultät, Primorial und
Tschebyschews θ Funktion

Peter Luschny

23.3.2006

Vorbemerkung. Bei der Primfakultät, dem Primorial und Tschebyschews θ Funktion handelt es sich im Wesentlichen um das gleiche mathematische Objekt, wobei die verschiedenen Bezeichnungen nur den Gebrauch in unterschiedlichen Kontexten widerspiegelt. Die mathematische Bedeutung der Funktion liegt in der Möglichkeit, mit ihrer Hilfe Aussagen über die Verteilung der Primzahlen gewinnen zu können.

Inhaltsverzeichnis

1 Definitionen

1.1 Die Primfakultät.

Die Primfakultät von n ist das Produkt aller Primzahlen kleiner oder gleich n . n N 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 n # 1 1 2 6 6 30 30 210 210 210 210 2310 Folge A034386 in der OEIS. Die Primfakultät ist eine mathematisch natürliche Definition für das Produkt von Primzahlen. Wir wählen die Notation n # als Abkürzung für die Primfakultät von n , definieren also eine Abbildung # : N 0 N . n # = 1 p n p ( p prim ) Der Wert 0 # = 1 ergibt sich aus der Konvention einem leeren Produkt den Wert 1 zu geben.

1.2 Tschebyschew θ -Funktion

In der zahlentheoretischen Literatur ist es üblich, bei der Betrachtung der Primfakultät nicht die multiplikative Schreibweise zu verwenden, sondern die additive. Das bedeutet, dass man nicht n # sondern ln ( n # ) betrachtet.

Etwas verwirrend ist dabei, dass man dabei auch noch eine andere Bezeichnung verwendet. Den Logarithmus der Primfakultät nennt man die Tschebyschew θ -Funktion θ ( n ) = ln ( n # ) Da ln ( n * m ) = ln ( n ) + ln ( m ) für relles n , m > 0 gilt, erhalten wir θ ( n ) = 1 p n ln ( p ) ( p prim ) Diese Identität wird gewöhnlich auch als Definition verwendet.

1.3 Das Primorial.

Das Primorial ist die Einschränkung der Primfakultät auf die Primzahlen P , d.h. eine Abbildung # : P N , deren Werte mit denen der Primfakultät übereinstimmen, aber nur für Primzahlen betrachtet wird. p P 2 3 5 7 11 13 17 19 p # 2 6 30 210 2310 30030 510510 9699690

Diese Form der Primfakultät ist im Zusammenhang mit der Frage, ob ein p # + 1 bzw. p # 1 eine Primzahl ist, weit verbreitet. So stellt etwa Richard K. Guy in Unsolved Problems in Number Theory, 3. Auflage 2004, Seite 10, die Frage:

Gibt es unendlich viele Primzahlen der Form p # + 1 , wobei p # das Produkt, das Primorial von p , aller Primzahlen 2 3 5 p bis einschließlich p ist?

Und in diesem Sinne listet auch Chris Caldwell auf seiner Seite die `top twenty primorial primes' auf. So ist zum Beispiel 392113 # + 1 die im April 2006 größte bekannte Primzahl dieses Typs zu finden.

Der Name `Primorial' wurde erst 1987 von Harvey Dubner eingeführt. Ob diese künstliche und eigentlich überflüssige Bezeichnung, die sich im Jargon der Primzahl-Hacker eingenistet hat, auch für die Mathematik hilfreich ist, mag man bezweifen.

2 Einfache Relationen

Zur Beschreibung einfacher Charakterisierungen brauchen wir noch die (multiplikative) zahlentheoretische Funktion sfk , den quadratfreien Kern von n .

2.1 Der quadratfreie Kern.

Der quadratfreie Kern von n ist das Produkt der verschiedenen Primfaktoren von n . n N 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 sfk ( n ) 1 1 2 3 2 5 6 7 2 3 10 11 6 Folge A007947 in der OEIS

Damit wird die Primfakultät mit der gewöhnlichen Fakultät n ! und dem kleinsten gemeinsamen Vielfachen kgv ( { 1 , , n } ) der ersten n Zahlen in Zusammenhang gebracht: n # = sfk ( n ! ) n # = sfk ( kgv { 1 .. n } ) Die Primfakultät ist also der quadratfreie Kern der (gewöhnlichen) Fakultät, und auch der quadratfreie Kern des kleinsten gemeinsamen Vielfachen des Anfangsabschnitts der natürlichen Zahlen.

2.2 Die Engel-Entwicklung.

Eine interessante Aussage ist, dass die Partialsummen der Reziproken der Primorialen gegen eine Konstante konvergieren, und zwar gilt 1 < p prim 1 / p # = 1 / 2 + 1 / 6 + 1 / 30 + = 0,7052301717918 Dies besagt gerade, dass die Engel-Entwicklung dieser Zahl die Folge der Primzahlen ist. Man findet weitere Hinweise auf OEIS unter der Folgennummer A064648.

3 Primfakultät und Primzahlsatz

Die Primfakultät hat ihre Bedeutung in der Mathematik als Werkzeug zur Untersuchung der Verteilung der Primzahlen. In dieser Eigenschaft wurde sie zuerst von Pafnuti Tschebyschew (1850) eingesetzt beim Versuch, den Primzahlsatz zu beweisen. Dabei steht das Verhalten der Primfakultät für immer größer werdende Werte, also ihr asymptotisches Verhalten, im Mittelpunkt des Interesses. Das Verhalten der Primfakultät für kleine Werte ist dabei nicht typisch für das Verhalten für große Werte -- dies ist eine Folgerung aus dem Satz von Littlewood (1914) über die Oszillationen der Π -Funktion.

3.1 Asymptotisches Verhalten der Primfakultät

Die wichtigste mathematische Aussage über die Primfakultät beschreibt ihr asymptotisches Verhalten. lim n n # n = e Wenden wir auf beide Seiten den Logarithmus an, lim n ln ( n # ) / n = ln ( e ) = 1 , so folgt die zahlentheoretische Schreibweise dieser Identität lim n θ ( n ) n = 1.
Damit erhält man die einprägsamste Form dieser Identität ln ( n # ) n . Dies ist aber nichts anderes als eine zum Primzahlsatz äquivalente Formulierung. Unter dem Primzahlsatz verstehen wir dabei die Aussage lim n Π ( n ) ln ( n ) n = 1 Hierbei bezeichnet Π ( n ) die Anzahl der Primzahlen kleiner oder gleich n . Diese Identität läßt sich auch schreiben Π ( n ) ln ( n ) n . Nun ist aber ' ' eine transitive Relation und so folgt ln ( n # ) Π ( n ) ln ( n ) . Diese Form spiegelt die Idee von Tschebyschew wider. Tschebyschew wollte etwas über die Verteilung der Primzahlen , also über den Verlauf der Funktion Π ( n ) herausfinden. Da die Funktion Π ( n ) mathematisch recht unzugänglich ist, betrachtete Tschebyschew an ihrer Stelle die Primfakultät und versuchte die dabei erzielten Resultate dann auf die Π ( n ) Funktion zu transferieren.

Ein Beweis des Primzahlsatzes und die Formulierung mittels der Primfakultät (natürlich in der Tschebyschewschen Schreibweise) findet sich etwa bei Tom M. Apostol, Introduction to Analytic Number Theory .

3.2 Obere Schranke der Primfakultät

Die asymptotische Relation beinhaltet keinerlei Aussage darüber, wie sich ln ( n # ) / n der 1 nähert. Folgende, leicht zu erstellende Skizze kann dabei sehr irreführend sein.


thetaxdivx.gif θ ( x ) / x mit vermeintlicher und tatsächlicher oberen Schranke.

Wir sehen, dass sich θ ( n ) / n (die rote Kurve) für kleine Werte von n an 1 annähert - mehr aber auch nicht. Die Vermutung, dass sich θ ( n ) / n von unten an 1 annähert ist jedoch falsch, und geht auch in keiner Weise aus der Limesrelation hervor, genauso wie die Relationen θ ( n ) / n 1 oder das entsprechende n # e n im allgemeinen falsch sind!

Eine obere scharfe Schranke von θ ( x ) / x gibt es dabei durchaus. Sie wurde von Lowell Schoenfeld angegeben (Sharper Bounds for the Chebyshev Functions θ ( x ) and ψ ( x ) . II. Mathematics of Computation, Vol. 30, 134, 1976, 337-360. ) Schoenfeld präzisiert dabei eine von Helge von Koch schon im Jahr 1901 angegebene Schranke unter der Vorraussetzung der Riemannschen Hypothese (RH) und zeigt θ ( x ) x < x log 2 ( x ) / 8 π Dies läßt sich äquivalent umschreiben in ln ( x # ) x < 1 + log 2 ( x ) / ( 8 π x )

Eingesetzt in unsere Grafik bedeutet das, dass die oberste (schwarze) Kurve eine obere Schranke für θ ( x ) / x darstellt - RH vorausgesetzt. Setzt man RH nicht voraus, bleiben die Relationen grundsätzlich die gleichen, nur die Schranke wird, eventuell, etwas größer.

Für sehr großes x schließlich schiebt sich θ ( x ) / x über die Gerade y = 1 hinaus und fängt dann an unendlich oft um die 1 herum zu oszillieren. Eine Beweisskizze folgt.

3.3 Die Funktion θ ( x ) x wechselt unendlich oft das Vorzeichen. Von Paul Pollack

Ein Beweis dieser Aussage läßt sich angeben mit Hilfe der Ergebnisse in Landaus Vorlesungen über Zahlentheorie, Band 2, Kapitel 11 (welches dem Oszillations-Satz von Littlewood gewidmet ist). Dort beweist Landau, dass zum einem gilt liminf ψ ( x ) x x log log x < 0 ,        ( 1 ) aber auch limsup ψ ( x ) x x log log x > 0.        ( 2 ) Hierbei ist ψ ( x ) = p k <= x log p ( p p r i m ) . die psi-Funktion von Tschebyschew. Insbesondere sehen wir damit unter Verwendung von Tschebyschews grundlegenden Resultaten, dass 0 ψ ( x ) θ ( x ) = θ ( x 1 / 2 ) + θ ( x 1 / 3 ) + = O ( x 1 / 2 ) + O ( x 1 / 3 log x ) = O ( x 1 / 2 ) .

Da die Größenordnung von x kleiner ist als die von x log log x , folgt, dass sowohl ( 1 ) als auch ( 2 ) gültig bleiben, wenn man ψ durch φ ersetzt.

Um nun ( 1 ) und ( 2 ) zu beweisen, betrachtet man zwei Fälle. Falls ( 1 ) oder ( 2 ) falsch sind, dann ist es nicht allzu schwer zu zeigen (aber nicht offensichtlich!), dass die Riemannsche Hypothese wahr ist. (Landau behandelt dies in einem Abschnitt unter der Überschrift "Trivialitäten.") Um also ( 1 ) und ( 2 ) zu beweisen, können wir die Riemannsche Hypothese vorraussetzen. Unter dieser Vorraussetzung zeigt nun Landau (Satz 473), dass ψ ( x ) x = 2 x F ( log x ) + O ( x ) . Hierbei ist F ( t ) eine gewisse oszillierende Summe, in die der Imaginärteil der Nullstellen der Riemannschen Zeta Funktion eingeht. Um den Beweis von ( 1 ) und ( 2 ) zu Ende zu bringen, müssen wir diese Oszillationen verstehen (hier geht der Großteil der Arbeit ein): wieder unter der Annahme der Riemannschen Hypothese wird gezeigt (Satz 472), dass gilt liminf F ( t ) log log t < 0 < limsup F ( t ) log log t .

Littlewoods Satz über die Oszillation von Π ( x ) Li ( x ) wird ähnlich bewiesen. Wie im vorgehenden Fall kann man die Riemannsche Hypothese voraussetzen. Und unter der Riemannschen Hypothese kann man zeigen (Satz 458), dass Π ( x ) Li ( x ) x log log log x / log x = ψ ( x ) x x log log log x + o ( 1 ) . Damit folgt nun Littlewoods Satz aus ( 1 ) und ( 2 ) .

4 Anhang: Maple Implementierungen

PrimeFactorial := proc(n) local i; mul(i, i = select(isprime, ['$'(1.. n)])) end
Primorial := proc(n) local i; if isprime(n) then RETURN(PrimeFactorial(n))
else RETURN('undefined') fi end;
PrimePi := proc(n) nops(select(isprime, ['$'(1.. n)])) end
sfk := proc(n) local i, k; k := ifactors(n)[2]; mul(k[i][1], i = 1.. nops(k)) end
kgv := proc(n) if n = 0 then 1 else ilcm(n, kgv(n - 1)) fi end
theta := proc(n) local i; add(ln(i), i = select(isprime, ['$'(1.. n)])) end
> seq(PrimeFactorial(i),i=0..9): 1, 1, 2, 6, 6, 30, 30, 210, 210, 210
> seq(Primorial(i),i=1..11); *, 2, 6, *, 30, *, 210, *, *, *, 2310
> seq(PrimePi(i),i=0..9): 0, 0, 1, 2, 2, 3, 3, 4, 4, 4
> seq(sfk(i),i=0..9): 1, 1, 2, 3, 2, 5, 6, 7, 2, 3
> seq(sfk(i!),i=0..9): 1, 1, 2, 6, 6, 30, 30, 210, 210, 210
> seq(sfk(kgv(i)),i=0..9): 1, 1, 2, 6, 6, 30, 30, 210, 210, 210

Literatur

  1. P. L. Chebyshev
    Mémoir sur les nombres premiers. J. math. pures appl. 17, (1852)
    Zuerst erschienen 1850.
  2. J. E. Littlewood
    Sur la distribution des nombres premiers, Comptes Rendus 158 (1914), 1869-1872
  3. H. J. J. te Riele
    On the difference Pi(x) - Li(x), Math. Comp. 48 (1987), 323-328
  4. P. Dusart
    Inégalités explicites pour psi(x), theta(x), pi(x) et les nombres premiers.
    C. R. Math. Rep. Acad. Sci. Canad 21, (1999), 53-59.

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